Bolzplatzurteil 2.0
Vor fünf Jahren entschied der BGH im Rahmen des sog. „Bolzplatzurteils“, dass Mieter kein Recht auf Mietminderung haben, wenn von einem benachbarten Grundstück Lärmbelästigungen ausgehen, welche von einem Dritten stammen, gegen den der Vermieter keine Abwehrrechte hat.
Das Urteil war damals sehr kontrovers aufgefasst worden. So kommentierte etwa der Mieterbund, das Recht des Mieters auf Mietminderung sei erheblich eingeschränkt worden.
Die Instanzgerichte nahmen das Urteil zum Teil an, teilweise urteilten sie in vergleichbaren Fällen jedoch auch weiterhin offen gegen die BGH-Entscheidung. In der Konsequenz bildeten sich in der Praxis daher unterschiedliche Vorgehensweisen heraus.
Nun hat der BGH mit einem weiteren Urteil seine Linie fortgeführt:
Ging es in der Original-Entscheidung von 2015 tatsächlich – nomen est omen – um einen Bolzplatz, betrifft die aktuelle Entscheidung eine Baustelle zur Errichtung eines Neubaus auf dem Nachbargrundstück.
Der Fall von 2015 bezog sich auf Mieter, die seit 1993 in einer Erdgeschosswohnung mit Terrasse wohnten. Auf dem Gelände einer benachbarten Schule wurde 2010, 17 Jahre nach Abschluss des Mietvertrages, ein Bolzplatz errichtet. Dort sollten Kinder bis zwölf Jahre an Wochentagen bis 18 Uhr Fußball spielen dürfen. Tatsächlich nutzten den etwa 20 Meter von der Terrasse entfernten Platz aber auch Jugendliche bis nach 18 Uhr sowie am Wochenende. Der BGH hatte damals entschieden, den Mietern stehe kein Recht auf Mietminderung zu, wenn der Vermieter selbst nicht gegen den störenden Dritten vorgehen könne – es sei denn, es hätte eine entsprechende Beschaffenheitsvereinbarung im Mietvertrag gegeben.
Weitaus häufiger als kickende Jugendliche beschäftigten in der Folgezeit Fälle die Gerichte, in denen es um Baulärm von Nachbargrundstücken ging. Oftmals übertrugen die Richter die BGH-Entscheidung zum Bolzplatz nicht auf derartige Konstellationen.
Diese Praxis wird das jüngste Urteil wahrscheinlich beenden:
Das Risiko von Veränderungen im Umfeld der Wohnung dürfe nicht einseitig dem Vermieter zugewiesen werden. Falls der Mietvertrag keine Regelung über Beeinträchtigungen im Wohnumfeld vorsehe, müsse er ergänzend ausgelegt werden. Sofern der Vermieter nicht rechtlich gegen den Bauträger des Neubaus vorgehen könne, dürfe die Belastung nicht einseitig vom Mieter auf den Vermieter abgewälzt werden.
Ob dem Vermieter Abwehrrechte gegen die Beeinträchtigungen zustehen, ergibt sich aus § 906 BGB, einer Norm des Sachenrechts. Danach sind Abwehrrechte ausgeschlossen, wenn das Grundstück „nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt“ wird. Ob dies der Fall ist, muss vom Tatrichter festgestellt werden. Neben Mietern und Vermietern sollten auch Bauherren dem Urteil Beachtung schenken, denn nach der Devise „Baulärm wird billiger“ haben Bauherren nun weniger Anreiz, benachbarten Vermietern im Voraus den Ersatz von Mietausfällen zuzusagen.
(Siehe BGH, Urteil vom 29.04.2020, Az.: VIII ZR 31/18)
Bezug auf Mietspiegel für minderausgestattete Wohnungen
Der BGH hat mit einem Urteil vom 29.04.2020 (VIII ZR 355/18) aufgrund verschiedener Aspekte für einiges Aufsehen gesorgt, u.a. weil in dem Urteil auch die Wirksamkeit des umstrittenen Berliner Mietendeckels gestreift wurde.
Im Kern ging es aber um einen anderen Aspekt des Urteils, nach dem der Berliner Mietspiegel zur Begründung eines Mieterhöhungsverlangens (§ 558a BGB) auch für minderausgestattete Wohnungen herangezogen werden kann. Im vorliegenden Fall nahm der Vermieter bei einem Mieterhöhungsverlangen auf den Berliner Mietspiegel 2015 Bezug. Dieser gilt u.a. nicht für Wohnungen mit außerhalb der Wohnung gelegenem WC. Im nun entschiedenen Fall verfügte die streitgegenständliche Wohnung nicht über ein vom Vermieter zur Verfügung gestelltes Innen-WC.
Der Vermieter klagte auf Zustimmung zur Mieterhöhung, die Mieterin wehrte sich dagegen. Die Vorinstanz sah die Mieterhöhung zwar in der Sache für gerechtfertigt an, ließ aber eine Revision in der Frage zu, ob das Mieterhöhungsverlangen aufgrund des Bezugs zum Berliner Mietspiegel 2015 formell unwirksam gewesen sei.
Der BGH entschied zunächst, dass die Einhaltung der formellen Anforderungen an das Mieterhöhungsverlangen gemäß § 558a BGB nicht die Zulässigkeit der Zustimmungsklage betreffende Sachurteilsvoraussetzung ist. Die Förmlichkeit des Mieterhöhungsverlangens sei vielmehr in der Begründung der Klage zu prüfen.
Neben diesem prozessualen Aspekt ging es in der Begründung der Zustimmungsklage letztlich um die Frage, ob ein Mieterhöhungsverlangen mit einem Mietspiegel begründet werden kann, der die betreffende Wohnung gar nicht erfasst.
Der BGH entschied, in der vorliegenden Fallgestaltung habe der Mietspiegel als Orientierungshilfe herangezogen werden können, da er Objekte wie die streitgegenständliche Wohnung nur deshalb nicht mehr erfasse, weil keine ausreichende Datenmenge mehr zur Verfügung stehe, um belastbare Ergebnisse zu ermitteln und auch beauftragte Gutachter keine vergleichbaren Objekte recherchieren konnten.
Die ortsübliche Vergleichsmiete für die minderausgestattete Wohnung der Mieterin habe nur durch einen Vergleich mit anderen – zwar nicht identisch, aber vergleichbar einfach ausgestatteten – Wohnungen beurteilt werden können. In einer derartigen Fallgestaltung könne der an sich nicht anwendbare Mietspiegel zur Begründung eines Mieterhöhungsverlangens herangezogen werden, wenn er für die Beurteilung der ortsüblichen Vergleichsmiete zumindest eine Orientierungshilfe biete.
Bei der Entscheidung des BGH spielte es keine Rolle, dass die Wohnung tatsächlich über ein innenliegendes Bad und WC verfügte, denn dieses hatte nicht der Vermieter, sondern die Mieterin selbst angeschafft. Im Rechtsstreit um die Mieterhöhung musste deswegen von einer Wohnung ohne ein solches Innen-WC ausgegangen werden.